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Gründonnerstag – Gemeinschaft im Angesicht der Dunkelheit

  • rogertroger
  • 17. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Der Gründonnerstag markiert in der christlichen Tradition den Beginn des österlichen Triduum – jener drei Tage, in denen das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu Christi gefeiert und betrachtet werden. Er ist ein Tag der Gegensätze: Der Abend der innigsten Gemeinschaft und zugleich der Stunde des Verrats. Für neurosensitive Menschen, die intensiver wahrnehmen, tiefer empfinden und oft verletzlicher sind, berührt dieser Tag besonders – und konfrontiert zugleich mit existenziellen Fragen über Vertrauen, Nähe und das Aushalten von Ambivalenz.

Die Tiefe der Gemeinschaft: Brot, Wein und Freundschaft

Im Zentrum des Gründonnerstags steht das letzte Abendmahl. Jesus, der wusste, dass seine Stunde gekommen war (Joh 13,1), wählte diesen Moment nicht für einen Rückzug, sondern für Nähe. Er versammelte seine Freunde um sich, teilte Brot und Wein – Zeichen der Hingabe und der bleibenden Verbundenheit. Die Eucharistie ist seither Ausdruck dieser existenziellen Gemeinschaft: „Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19).

Für vielwahrnehmende Menschen, deren Bedürfnis nach Tiefe, Echtheit und Bindung besonders ausgeprägt ist, ist diese Szene nicht nur theologisch bedeutsam, sondern zutiefst menschlich. Jesus teilt sich nicht abstrakt mit – er gibt sich selbst. In einer Welt, die oft laut, schnell und oberflächlich ist, erinnert diese Geste an die heilende Kraft echter Präsenz.

Verrat und Annahme: Die Rolle des Judas

Inmitten dieser Gemeinschaft sitzt auch Judas Iskariot. Jesus weiss um seinen Verrat. Dennoch wird Judas nicht ausgeschlossen. Jesus wäscht auch ihm die Füsse. Er reicht ihm das Brot – ein Zeichen der Ehre in der jüdischen Tradition. Diese Haltung Jesu ist eine Herausforderung: Annahme trotz Wissen. Liebe trotz Schmerz.

Für Menschen mit starker emotionaler Empathie, wie sie oft mit Vantage-Sensitivität oder allgemein hoher Neurosensitivität einhergeht, ist dies ein berührendes und zugleich schwer zu ertragendes Bild. Es zeigt: Liebe ist nicht selektiv. Sie verweigert sich auch dort nicht, wo Enttäuschung und Verletzung drohen. In Judas spiegelt sich nicht nur der Verräter – sondern auch unsere Angst, selbst zu versagen, falsch verstanden oder ausgeschlossen zu werden.

"Bleibet hier und wachet mit mir": Die Sehnsucht nach Beistand

Im Garten Gethsemane verdichtet sich das Drama des Abends. Jesus ringt mit dem bevorstehenden Tod. Er ist zutiefst erschüttert – körperlich, seelisch und geistlich. Und er bittet seine Freunde: „Bleibet hier und wachet mit mir“ (Mt 26,38). Es ist kein theologischer Appell – sondern ein zutiefst menschlicher Wunsch. Der Wunsch, nicht allein zu sein. Der Wunsch, gesehen zu werden in der Dunkelheit.

Dieser Wunsch wohnt jedem Menschen inne – besonders aber erhöht neurosensitiven Persönlichkeiten, für die Einsamkeit und emotionale Isolation zu den schwersten Erfahrungen zählen. Wer intensiver fühlt, braucht Menschen, die aushalten können, ohne sofort zu reparieren. Die mit-wachen. Mit-tragen. Mit-hoffen.

Ein Abend der Einladung – auch für heute

Der Gründonnerstag ist kein abgeschlossenes historisches Ereignis. Er ist eine Einladung. Zur Gemeinschaft, die nicht perfektionistisch ist, sondern barmherzig. Zur Annahme, die auch Widersprüchliches hält. Zur Wachheit, die nicht vor der Dunkelheit flieht. In einer Gesellschaft, in der Leistung, Klarheit und Effizienz oft höher bewertet werden als Empathie, Tiefe und Verletzlichkeit, ist diese Einladung radikal.

Und sie gilt jedem Menschen – besonders denen, die tiefer fühlen, stärker wahrnehmen und mehr in Resonanz treten mit der Welt. Gerade in ihrer Sensitivität liegt eine besondere Christus-Nähe: Wer mehr spürt, leidet vielleicht mehr – aber liebt auch tiefer. Und hat die Fähigkeit, andere mit grösserer Zartheit zu begleiten.

„Bleibet hier, wachet mit mir.“

Eine Bitte. Eine Sehnsucht. Ein Gebet. Nicht nur für den Gründonnerstag. Sondern für das ganze Leben.

 
 
 

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