Weihnachten – eine schöne Geschichte, die es ernst meint
- rogertroger
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen

Heiligabend, Weihnachten und Stephanstag (24.–26. Dezember)
Weihnachten hat einen seltsamen Ruf. Für die einen ist es ein Ort von Wärme, Licht und Vertrautheit. Für andere ein emotional aufgeladener Pflichttermin, voller Erwartungen, Erinnerungen und Überforderung. Manche halten es innerlich auf Abstand, weil es ihnen zu romantisch erscheint, zu inszeniert, zu fern vom wirklichen Leben.
Und doch kehren diese Tage jedes Jahr wieder. Still. Hartnäckig. Als würden sie etwas berühren, das sich nicht einfach abtun lässt.
Vielleicht liegt das daran, dass Weihnachten im Kern eine gute Geschichte ist. Eine Geschichte, die dem Menschen etwas zutraut. Und ihm zugleich etwas zuspricht: Du bist nicht egal.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Und es ist keine billige Trostformel. Es ist eine Behauptung – schön, stark und anspruchsvoll.
Heiligabend – Gott kommt dem Menschen nahe
Die Weihnachtsgeschichte beginnt nicht mit einer Erklärung der Welt. Sie beginnt auch nicht mit einer Forderung. Sie beginnt mit Nähe. Mit dem Gedanken, dass Gott – so erzählt es der christliche Glaube – Mensch wird.
Theologisch nennt man das Inkarnation. Menschwerdung. Jenseits aller Fachbegriffe bedeutet es etwas sehr Einfaches und zugleich Radikales: Gott interessiert sich für den Menschen. Nicht aus sicherer Distanz. Nicht abstrakt. Sondern konkret, körperlich, verletzlich.
Heiligabend erzählt von einem Anfang ohne Absicherung. Kein Glanz, keine Macht, keine ideale Umgebung. Ein Kind. Eine Mutter. Ein Vater. Abhängigkeit. Angewiesenheit. Ein Leben, das gerade erst beginnt und doch schon gefährdet ist.
Diese Geschichte ist schön. Und sie darf schön sein. Sie spricht von Licht im Dunkeln, von Hoffnung, von einem neuen Anfang. Das ist keine falsche Romantik. Das ist ihr Herz.
Aber diese Schönheit ist keine Wellness-Schönheit.

Kein Wellness-Hotel – sondern eine existenzielle Wirklichkeit
Die Weihnachtsgeschichte spielt nicht in einem Wellness-Hotel. Nicht zwischen Whirlpool, Sauna und Dampfbad. Nicht mit einem Viergang-Nachtessen und perfektem Service.
Sie spielt in der Wirklichkeit.
Eine schwangere Frau findet keinen Platz. Türen bleiben geschlossen. Niemand fühlt sich zuständig. Maria muss ausweichen, improvisieren, in einen Stall gehen. Nicht, weil das idyllisch wäre, sondern weil es keine Alternative gibt.
Der Stall ist kein romantisches Detail. Er ist Ausdruck von Mangel. Von Ausgrenzung. Von fehlender Aufnahmebereitschaft. Und genau dort, so sagt der christliche Glaube, wird Gott Mensch.
Nicht trotz dieser Umstände. Sondern in ihnen.
Das ist der Skandal von Weihnachten – und zugleich sein grösster Liebesbeweis. Dass Gott nicht sagt: Ich komme, wenn alles vorbereitet ist. Sondern: Ich komme so, wie es ist.
Er nimmt nicht nur das Menschsein an, sondern auch seine Fragilität. Die Unsicherheit. Die Erfahrung, keinen Platz zu haben. Er erlebt das nicht zufällig. Er will es erleben.
Nicht, weil Leid gut wäre. Sondern weil Nähe sonst nicht wahr wäre.

Warum Weihnachten mit dem Abend beginnt
Zeit aus jüdischer Tradition
Dass wir Weihnachten bereits am Abend des 24. Dezember beginnen, ist kein folkloristischer Zufall. Es wurzelt in der jüdischen Tradition, in der der Tag nicht mit dem Morgen, sondern mit dem Sonnenuntergang beginnt.
„Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag.“ So erzählt es bereits der Schöpfungsbericht.
Diese Zeitlogik ist eine Haltung. Der Mensch beginnt nicht mit Leistung, sondern mit Empfang. Nicht mit Aktivität, sondern mit Loslassen. Erst kommt die Nacht, dann das Licht.
Heiligabend trägt genau das in sich. Bevor gefeiert wird, bevor gesprochen und gesungen wird, kommt die Dunkelheit. Die Stille. Das Innehalten. Als müsste man erst Raum schaffen, bevor Freude wachsen kann.
Vielleicht ist das auch heute noch spürbar. Dass dieser Abend anders ist. Dicht. Erwartungsvoll. Nicht, weil alles geklärt wäre, sondern weil etwas offen ist.
Weihnachten beginnt nicht mit einem Feuerwerk. Es beginnt mit einem Atemzug.
Und erst am 25. Dezember entfaltet sich, was am Abend zuvor begonnen hat: Freude, Licht, Nähe. Gott bleibt. Er verschwindet nicht nach dem ersten Aufleuchten.
Eine schöne Geschichte – aber keine harmlose
Gerade deshalb ist Weihnachten eine hoffnungsvolle Geschichte. Sie sagt nicht: Alles wird gut. Sie verspricht keine heile Welt. Sie sagt etwas anderes: Das Leben ist es wert, geteilt zu werden. Auch dort, wo es schwierig ist.
Diese Hoffnung ist nicht laut. Sie drängt sich nicht auf. Sie zwingt niemanden zu Gefühlen. Sie lässt Ambivalenz zu: Freude und Erschöpfung. Dankbarkeit und Leere. Nähe und Einsamkeit.
Vielleicht ist das der Grund, warum Weihnachten zugleich so berührend und so herausfordernd ist. Weil es Menschlichkeit zeigt – und damit auch ihre Zerbrechlichkeit.
Der Stephanstag – wenn die Freude nicht geschützt ist
Kaum hat sich diese Freude gesetzt, folgt ein Tag, der irritiert. Der stört. Der nicht ins Bild der Idylle passen will.
Der Stephanstag.
Stephanus, von dem die Apostelgeschichte erzählt, gilt als der erste christliche Märtyrer. Ein Mensch, der für sein Zeugnis, für seine Überzeugung, für seine Wahrheit getötet wird. Direkt nach Weihnachten. Ohne Schonfrist.
Theologisch ist das eindeutig: Schon hier richtet sich der Blick auf die Passion. Auf das Kreuz. Auf die Gewalt, die Menschlichkeit auslösen kann. Weihnachten bleibt nicht bei der Krippe stehen.
Aber auch jenseits des Glaubens ist dieser abrupte Wechsel erstaunlich realistisch.
Denn wir kennen ihn aus dem säkularen Leben:
Karrieren werden gefeiert – und kurz darauf beendet.
Beziehungen werden idealisiert – und am nächsten Tag zerbrechen sie.
Staaten, Politiker, Bündnisse werden hochgejubelt – und wenig später sind Versprechen nichts mehr wert.
Erfolge werden inszeniert – und im Ernstfall bleibt wenig davon übrig.
Euphorie und Bruch liegen nah beieinander. Freude ist fragil. Anerkennung flüssig. Sicherheiten können kippen.
Der Stephanstag macht genau das sichtbar. Nicht zynisch. Sondern ehrlich.
Er sagt: Diese schöne Geschichte hält dem Leben stand. Sie weiss, dass Nähe nicht immer belohnt wird. Dass Wahrheit Widerstand auslöst. Dass Menschlichkeit einen Preis haben kann.
Und trotzdem bleibt sie dabei.
Was diese Tage zusammen sagen – auch säkular
Weihnachten ohne Stephanus wäre Romantik. Stephanus ohne Weihnachten wäre Verzweiflung.
Zusammen aber erzählen sie eine Geschichte, die dem Leben entspricht. Eine Geschichte, die Freude nicht verleugnet und den Ernst nicht verschweigt. Eine Hoffnung, die nicht billig ist.
Man muss das nicht glauben, um etwas daraus mitzunehmen. Man kann diese Tage als Erzählung lesen, als Deutung des Menschseins.
Vielleicht bleibt dann dies:
Dass Würde nicht verdient werden muss.
Dass Nähe kein Luxus ist.
Dass Hoffnung nicht bedeutet, die Augen zu schliessen.
Und dass Menschlichkeit dort beginnt, wo jemand bereit ist, Wirklichkeit zu teilen.
Weihnachten ist dann kein Zwang zur Glückseligkeit.Sondern ein Angebot.
Ein stilles, warmes, ernst gemeintes Angebot: Du bist nicht egal.
Und vielleicht braucht es genau diese Abfolge – vom Abend in die Nacht, vom Licht in die Verantwortung – um dieser schönsten und zugleich anspruchsvollsten Geschichte standzuhalten.

Kommentare