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Karsamstag – Die heilige Leere: Vom Aushalten zwischen Kreuz und Auferstehung

  • rogertroger
  • 19. Apr.
  • 2 Min. Lesezeit

Karsamstag ist der stillste Tag des Kirchenjahres. Kein Gottesdienst, keine Handlung, keine Stimme von Gott. Der Vorhang ist gefallen, das Grab ist versiegelt, und das Licht der Hoffnung scheint erloschen. Es ist ein Tag, der in seiner Leere fast vergessen geht – dabei spricht er besonders zu denjenigen, die empfindsam, verletzlich und tief wahrnehmend durch das Leben gehen. Karsamstag ist der Tag für alle, die nicht vorschnell trösten wollen, sondern bereit sind, im Dazwischen zu verweilen.

Theologische Bedeutung: Der Abstieg ins Schweigen

Im christlichen Glaubensbekenntnis heisst es: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes.“ Damit ist keine Höllenfahrt im mythologischen Sinn gemeint, sondern die tiefste Form der menschlichen Entäusserung: Gott wird toter Mensch. Keine Stimme vom Himmel, kein rettendes Eingreifen. Nur Schweigen. Nur Grab. Nur Dunkelheit.

Theologisch gesprochen ist Karsamstag der Tag der Gottverlassenheit, der Entmächtigung, der Absenz jeglicher Hoffnung. Und genau hierin liegt seine Kraft. Denn er nimmt ernst, dass es Zeiten im Leben gibt, in denen nichts mehr zu sagen ist. Wo Worte zu billig, Erklärungen zu kurz und Trost zu früh kämen. Karsamstag spricht all jenen aus der Seele, die das Schweigen Gottes aushalten müssen – sei es nach einem Verlust, in einer Depression, in einem Moment existenzieller Orientierungslosigkeit.

Die Leere wahrnehmen – eine neuro-sensitive Stärke

Für erhöht neurosensitive Menschen ist Leere nicht einfach ein Zustand des Nichts. Sie spüren feine Spannungen, sie erleben Zwischenräume als real. Gerade sie empfinden die Ambivalenz dieses Tages besonders intensiv: Jesus ist tot, doch es ist noch nicht Ostern. Die Welt hält den Atem an. Die Jünger sind geflohen oder verstummt. Maria schweigt. Das Herz pocht – aber weiss nicht, worauf.

Neurosensitivität bedeutet nicht nur erhöhte Reizempfänglichkeit – sie bedeutet auch die Fähigkeit, leere Räume zu betreten, ohne sie sofort füllen zu müssen. In der Leere wohnt auch eine Wahrheit. Eine Zeit der Trauer, des Nicht-Wissens, des Übergangs. Wer diese Leere aushält, begegnet sich selbst – in aller Verletzlichkeit, aber auch in einer Tiefe, die das laute Leben oft übertönt.

Zwischenzeit – ein spiritueller Ort

Karsamstag ist kein Tag der Handlung, sondern ein Ort der Zwischenzeit. Nichts ist mehr wie vorher, aber das Neue ist noch nicht sichtbar. Diese Erfahrung ist nicht nur biblisch – sie ist universell. Viele Menschen erleben in ihrem Leben Karsamstags-Zeiten: nach einer Diagnose, nach dem Verlust eines geliebten Menschen, nach einer inneren Erschütterung. Zeiten, in denen man weder zurück noch vorwärts kann. Zeiten, in denen alles stillsteht.

Gerade in der heutigen Gesellschaft, die auf Effizienz, Geschwindigkeit und permanente Verfügbarkeit setzt, ist Karsamstag eine Provokation. Er fordert das Aushalten ein. Nicht das Agieren. Nicht das Optimieren. Sondern das Dableiben im Schmerz, im Zweifel, in der Frage. Das hat Tiefe. Und es hat Würde.

„Und sie legten ihn in ein Grab.“ Keine Stimme, kein Wunder, keine Lösung. Nur Stille. Nur Zwischenzeit.

Und doch: Wer den Karsamstag nicht überspringt,wird das Ostern umso tiefer erfahren.

Impuls:

Nimm Dir heute einen Moment der Stille. Kein Gebet, keine Analyse, keine Aufgabe. Nur Stille.

Setz Dich hin. Schliesse die Augen. Spüre, was da ist – ohne es benennen zu müssen.

Welche Leere in Dir ist heute spürbar? Welche Fragen haben (noch) keine Antwort?

Widerstehe der Versuchung, sie zu füllen. Bleib einfach da.

So wie Maria am Grab. So wie Gott im Schweigen. So wie du – mitten im Leben.

 
 
 

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