Ostermontag – Erkannt im gebrochenen Brot: Vom langsamen Verstehen und dem anderen Wiedersehen
- rogertroger
- 21. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Der Ostermontag erzählt von einem Weg. Von zwei Jüngern, die enttäuscht, traurig und voller Fragen Jerusalem verlassen. Vom Gefühl, alles verloren zu haben – obwohl das Entscheidende bereits geschehen ist. Und von einem Dritten, der sich ihnen unbemerkt anschliesst. Jesus geht mit – aber sie erkennen ihn nicht (Lk 24,16).
Diese Begebenheit auf dem Weg nach Emmaus berührt besonders jene, die erhöht neurosensitiv und tief wahrnehmend durchs Leben gehen. Denn sie erzählt von einem langsamen Verstehen, einem verzögerten Erkennen, einem Weg durch die Ambivalenz. Und sie schenkt Hoffnung: Was jetzt noch unklar ist, wird sich klären. Was heute verborgen ist, wird offenbar. Und wer jetzt noch fremd erscheint, wird sich als vertraut erweisen.
Theologische Tiefe: Der Auferstandene ist nicht mehr der Gleiche – und doch derselbe
Die Jünger erkennen Jesus nicht an seiner Stimme, nicht an seinem Gesicht, nicht an seinem Gang. Erst als er das Brot bricht – eine Geste tiefer Vertrautheit – gehen ihnen die Augen auf. Und im selben Moment verschwindet er aus ihrem Blickfeld.
Die christliche Theologie spricht hier von der Verwandlung der Gestalt. Jesus ist nicht mehr einfach der irdische Lehrer von Galiläa, sondern der Auferstandene – verklärt, entzogen, und doch gegenwärtig. Diese doppelte Bewegung – verborgen und zugleich nah – prägt das ganze Osterverständnis: Gott zeigt sich – aber anders als erwartet.
Neurosensitivität und das langsame Erkennen
Menschen mit erhöhter Neurosensitivität nehmen nicht nur intensiver wahr – sie verarbeiten Eindrücke auch langsamer, tiefer, differenzierter. Sie sind nicht auf das erste Bild fixiert, sondern offen für das Unerwartete. Gerade deshalb ist die Emmaus-Erzählung ein besonderes Geschenk: Sie erlaubt das Zögern, das Nicht-Gleich-Erkennen, das langsamer Reagieren – ohne es zu werten.
Die beiden Jünger erleben eine Transformation: von der Hoffnungslosigkeit zur inneren Bewegung, vom Nicht-Erkennen zum brennenden Herzen, vom Weggehen zum Zurückkehren. Und all das geschieht nicht auf einen Schlag – sondern auf dem Weg. Dieses Bild kann vielwahrnehmenden Menschen Mut machen: Dass auch ihr oft nicht-linearer Weg ein gesegneter ist. Und dass das Verstehen Raum braucht – und Zeit.
Auferstehung und Wiedererkennen – jenseits des Sichtbaren
Die Emmaus-Erzählung berührt auch eine tief existenzielle Frage: Wie werden wir uns nach dem Tod wiedererkennen? Wird der Vater sein Kind erkennen? Wird die Ehefrau ihren Mann wiederfinden? Wird ein Mensch sich selbst wiedererkennen?
Die christliche Hoffnung antwortet nicht mit einem banalen „alles wird wie früher“, sondern mit einer tieferen Wahrheit: Ja, wir werden einander wiedererkennen – aber nicht in der gewohnten Form. So wie Jesus den Jüngern fremd erscheint und dennoch ganz bei ihnen ist, so wird auch das Wiedersehen im Licht der Auferweckung/Auferstehung verwandelt sein. Nicht weniger wirklich – sondern tiefer. Nicht weniger vertraut – sondern umfassender. Nicht körperlich im alten Sinn – sondern leiblich in einem neuen Sein.
Für erhöht neurosensitive Menschen, die oft unter der Flüchtigkeit dieser Welt leiden, ist das ein tröstliches Bild: Dass Beziehungen nicht vergehen. Dass Verbundenheit über den Tod hinaus besteht. Und dass das, was heute unklar bleibt, eines Tages in Wahrheit leuchtet.
„Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Weg?“Erst später verstehen sie, was schon längst geschehen war.
Impuls:
Wo in deinem Leben fühlst Du dich wie einer der Emmaus-Jünger? Enttäuscht, verwirrt, nicht sicher, was kommt – oder was war?
Wen erkennst du gerade nicht – obwohl er oder sie vielleicht bei Dir ist?
Und: Was in Deinem Leben ist verwandelt worden – nicht wie früher, aber doch wahr und tief?
Vielleicht ist Ostern nicht das plötzliche Licht. Vielleicht ist es der Moment, in dem du spürst: Mein Herz brennt. Und ich bin nicht allein.
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