Zwischen Licht und Schatten
- rogertroger
- 31. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Halloween, Allerheiligen und Allerseelen – eine neurosensitive Betrachtung über Übergänge, Erinnerung und Licht im Dunkel
1. Eine Zeit der Schwelle
Wenn die Tage kürzer werden, sich Nebel über die Felder legen und die Luft nach Erde riecht, beginnt eine Zeit, die seit Jahrtausenden als heilig und geheimnisvoll gilt. Der Oktober neigt sich dem Ende zu, und der November eröffnet sich mit drei Festen, die alle vom Übergang erzählen – vom Sichtbaren ins Unsichtbare, vom Endlichen ins Ewige: Halloween, Allerheiligen und Allerseelen.
Für viele Menschen ist diese Zeit einfach Herbst, vielleicht ein Anlass für Laternen und Kerzen. Für andere – und besonders für hochsensitive und neurosensitive Menschen – ist sie spürbar mehr: eine Phase, in der die Grenzen zwischen den Welten dünner scheinen, in der Licht und Dunkelheit einander berühren.
Diese Empfindung ist alt. Sie findet sich bereits in den keltischen Bräuchen rund um Samhain, dem Ahnenfest, das den Beginn des Winters markierte. Samhain bedeutete: Das Jahr stirbt, um neu geboren zu werden. In jener Nacht, so glaubte man, wanderten die Seelen der Verstorbenen heim. Feuer wurden entzündet, um sie zu leiten, und Masken getragen, um sich vor umherstreifenden Geistern zu schützen. Als das Christentum nach Mitteleuropa kam, übernahm es diese Schwellenzeit und verwandelte sie: Aus Samhain wurde All Hallows’ Eve – der Vorabend von All Hallows’ Day, Allerheiligen.
So begegnen sich bis heute zwei Welten: das heidnisch-rituelle Feiern des Übergangs und das christlich-theologische Gedenken an die Vollendung. Zwischen beiden steht der Mensch – suchend, fühlend, verbunden.
2. Allerheiligen: Das Licht der Verbundenheit
Am 1. November feiert die Kirche Allerheiligen – ein Fest des Lichtes. Es ehrt nicht nur die bekannten Heiligen mit Namen und Legenden, sondern vor allem die ungezählten, namenlosen Menschen, die in ihrem Leben Liebe, Mitgefühl, Gerechtigkeit oder Stille verkörpert haben. Es ist das Fest der Gemeinschaft aller Vollendeten – jener, die das göttliche Licht bereits ganz aufgenommen haben.
Für erhöhte neurosensitive Menschen kann dieses Fest eine tiefe Resonanz entfalten. Sie spüren intuitiv, dass Heiligkeit kein moralischer Zustand ist, sondern eine Schwingung, eine Frequenz von Bewusstsein. Allerheiligen erinnert daran, dass Licht ansteckend ist – dass jeder Mensch, der im Einklang mit seinem inneren Kern lebt, Teil dieses „Heiligenfeldes“ wird.
Theologisch gesehen wurzelt Allerheiligen im Gedanken der communio sanctorum – der Gemeinschaft der Heiligen über Zeit und Raum hinweg. Dieses Bewusstsein kann Trost schenken, gerade in einer Welt, die oft laut, zerstreut und materialistisch wirkt: Wir sind nicht allein. Wir gehören zu einer grossen Gemeinschaft des Lebens.
3. Allerseelen: Das Gedenken der Nähe
Der 2. November, Allerseelen, ist das stillere, erdigere Gegenstück zu Allerheiligen. Während Allerheiligen das Licht der Vollendung feiert, wendet sich Allerseelen denjenigen zu, die noch im Übergang sind – jenen, deren Seele sich auf dem Weg der Wandlung befindet.
Im Mittelalter entstand die Vorstellung, dass die Gebete der Lebenden die Verstorbenen auf ihrem Weg in das Licht begleiten können. So wurde Allerseelen zu einem Tag der liebenden Fürbitte, des Erinnerns, des Loslassens und des Segnens.Man besucht Gräber, legt Blumen nieder, entzündet Lichter. Doch auf einer tieferen Ebene ist Allerseelen ein Tag des Dialogs: ein stilles Gespräch zwischen den Welten.
Für Menschen mit erhöhter Neurosensitivität ist dieser Tag oft besonders berührend. Viele spüren – jenseits aller Dogmen – eine feine Verbindung zu denjenigen, die gegangen sind. Sie nehmen Atmosphären wahr, fühlen Erinnerungen körperlich, spüren Wärme oder Frieden, wo andere nur Stille hören. Diese Wahrnehmung kann als Geschenk verstanden werden: die Fähigkeit, dass Erinnerung und Gegenwart sich durchdringen. Allerseelen lehrt, dass Liebe keine lineare Zeit kennt.
4. Halloween: Das Spiel mit der Dunkelheit
Der Vorabend von Allerheiligen, Halloween (All Hallows’ Eve), wird heute oft als oberflächliches Spektakel wahrgenommen. Doch in seinem Ursprung liegt etwas viel Tieferes. Es war – und ist – ein Ritual der Entängstigung. Durch Masken, Feuer und Lärm stellten sich Menschen den Kräften der Dunkelheit, um sie zu entwaffnen. Kinder verkleiden sich heute noch – und ahnen vielleicht unbewusst, dass sie dabei eine uralte Geste wiederholen: den Schatten zu begegnen, ohne sich ihm zu ergeben.
Für hochsensitive Menschen kann Halloween als Symbol für die Integration des Unbewussten gelesen werden. Was uns Angst macht, will nicht bekämpft, sondern verstanden werden. Das Verkleiden, das Lachen über Geister, das Entzünden von Kürbislichtern – all das sind archetypische Wege, den inneren Schatten anzusehen und in Licht zu verwandeln. So gesehen ist Halloween keine Bagatelle, sondern ein Spiegel der Seele: eine Einladung, unsere eigenen Masken zu erkennen – und sie in Liebe zu durchleuchten.
5. Rituale des Übergangs
Gerade in diesen Tagen zwischen Ende Oktober und Anfang November können Rituale helfen, die Empfindsamkeit zu zentrieren und ihr Ausdruck zu verleihen. Sie geben Struktur, wo die Wahrnehmung sonst überfliesst.
Einige Anregungen:
🕯️ Kerzen für die Verstorbenen – Jede Flamme als Zeichen von Erinnerung und fortbestehender Liebe.
🍂 Herbstspaziergang im Schweigen – Die Natur im Wandel beobachten, hören, wie das Leben ruht, aber nicht endet.
💭 Dankbarkeitstagebuch – Dinge notieren, die im letzten Jahr „sterben“ durften, und jene, die neu geboren wurden.
💧 Wasser-Ritual – Einen Stein oder eine Blume in fliessendes Wasser legen – als Symbol des Loslassens und der Kontinuität.
💫 Meditation oder Gebet für alle Seelen – Ein stiller Wunsch, dass alles, was lebt, Licht findet.
Diese einfachen Gesten bringen das Unsichtbare in eine Form. Sie schaffen Resonanzräume zwischen Innen und Aussen, zwischen Erinnerung und Gegenwart.
6. Neurosensitive Wahrnehmung: Zwischen den Welten
Menschen mit erhöhter Neurosensitivität erleben Übergänge – ob Jahreszeiten, Lebensphasen oder emotionale Prozesse – intensiver als andere. Ihre Wahrnehmung ist wie ein weit geöffnetes Tor: Geräusche, Gerüche, Stimmungen, innere Bilder – alles fliesst gleichzeitig herein. In dieser Zeit des Jahres ist diese Offenheit besonders spürbar. Nebel, Kerzen, Düfte, Trauer, Hoffnung – alles liegt dicht beieinander.
Gerade deshalb kann der November – richtig verstanden – eine heilsame Zeit der Integration sein. Er lädt ein, die eigene Empfindsamkeit nicht als Überforderung, sondern als Gabe zu begreifen: als Fähigkeit, Verbindung zu spüren, wo andere nur Leere empfinden. So wie die Natur nicht stirbt, sondern ruht, dürfen auch wir im Inneren zur Ruhe kommen – in der Gewissheit, dass Leben und Tod nur zwei Seiten einer Bewegung sind.
7. Fazit: Vom Dunkel ins Licht
Halloween, Allerheiligen und Allerseelen sind keine getrennten Welten, sondern drei Aspekte eines grossen Kreislaufs:
Halloween erinnert uns an den Schatten,
Allerheiligen an das Licht,
Allerseelen an die Liebe dazwischen.
Sie lehren uns, dass Dunkelheit nicht das Gegenteil von Licht ist, sondern sein Nährboden. Dass Erinnerung nicht Schmerz, sondern Verbindung bedeutet. Und dass hochsensitive Menschen in dieser Jahreszeit vielleicht am tiefsten spüren, was alle Religionen auf ihre Weise sagen: Dass Liebe das Einzige ist, was bleibt.
„Denn keiner von uns lebt sich selbst, und keiner stirbt sich selbst; leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“— Römer 14,7–8
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